Freitag, August 25, 2006

Der Wallfahrtsort Hergiswald, Luzern - 2

Bruder Hans Wagner, erster Bewohner dieses Ortes

Im Jahre 1489 ließ sich in der Gegend des heutigen Hergiswaldes ein Laienbruder aus dem Karthäuserkloster Ittingen, worin er seit 1476, also 13 Jahre auferbaulich gelebt hatte, namens Johann Wagner, aus Riedlingen in Schwaben, als Einsiedler nieder. Seine Lebensgeschichte ist folgende:
Von seinen Kinder- und ersten Jugendjahren ist urkundlich nichts bekannt. Wohl mag schon in seiner ersten Jugendzeit in ihm der Wunsch erwacht sein, der Welt und ihren täuschenden Gütern zu entsagen und in einen hl. Orden zu treten, in welchem er nur Gott und seinem Seelenheile leben konnte. Unter den damaligen Orden zeichnete sich besonders jener der Karthäuser durch die Strenge seiner Ordensreglen, das fast beständige Stillschweigen und den Eifer im Dienste Gottes aus (Den damaligen Karthäusern war mit Ausnahme des wöchentlich einmaligen gemeinschaftlichen Spazierganges beständiges Schweigen auferlegt, welches nur durch das bekannte memento mori (Gedenke, daß du sterben mußt) unterbrochen wurde. Damit wollten sie büßen für so manches unnütze Wort, das da täglich gesprochen wird. Fleisch durften sie nie genießen. (Kuhn, Thurgov. sacr.). Deshalb bat er im Jahre 1476 beim Karthäuserkloster Ittingen im Thurgau um Aufnahme ins Noviziat, die ihm gewährt wurde, und nach gut bestandenem Probejahr wurde er als Laienbruder von den Ordensbrüdern dieses Klosters in ihren Ordensverband aufgenommen. Da lebte er nun mehrere Jahre ein gottgeweihtes, heiliges Leben, als durch notwendig gewordene Reparaturen und teilweise Umbauung des Klosters die bisherige Stille und Einsamkeit desselben auf längere Zeit unterbrochen wurde. Besonders die Laienbrüder mußten da durch Handarbeit oft ganze Tage mithelfen und wurden so von der Einsamkeit und dem gesuchten und gewohnten vertrauten Umgang mit Gott in Gebet und Betrachtung vielfach abgezogen. Solches behagte nun dem Bruder Johannes gar nicht, nicht aus Arbeitsscheue (Kuhn, Thurg. sacr.), sondern weil er bei dem Verkehr mit den andern Arbeitern die ersehnte Sammlung des Geistes nicht finden konnte. Daher erwachte in ihm die Sehnsucht nach einem eigentlichen Eremitenleben. Mit Bewilligung seiner Obern und des Papstes Innozenz VIII. (Bulle vom 16. Mai 1489) (Geschichtsfreund XXIII., 37.) verließ er in grauem Ordenskleide von grobem Tuche und den Bußgürtel um die Lenden, das Kloster, und nahm seinen Weg in das Innere der Schweiz. Von ferne winkten ihm die majestätischen Berge, jene alten und ehrwürdigen Zeiger der göttlichen Allmacht. An einem solchen Orte nun, wo die himmelanstrebenden Berge den Menschen ermahnen, Aug und Herz aufwärts zu richten und nach dem zu streben, was oben ist, an einem solchen Orte, am Abhange des Pilatusberges, zwei Stunden von Luzern entfernt, schlägt er in einer von Tannen und Gesträuchen umgebenen und von einem überhängenden Felsen bedeckten Höhle seine Wohnung auf. Diese Höhle befand sich, wie es in alten Urkunden heißt, "zwei bis drei Steinwürfe" südwestlich unterhalb der jetzigen Kirche und ist der Ort noch heute zu sehen; der überhängende Felsen jedoch wurde zur Zeit zum Baue der Kapelle benutzt. Bei der Höhle war und ist heute noch eine kleine Ebene, welche einige Schritte breit war, und eine Viertelstunde unterhalb rauschet durch ein tiefes, enges Tal der wilde Krienbach, in der Nähe der Höhle aber fließet eine frische Wasserquelle. Ohne alle häusliche Einrichtung, denn eine Felsenbank war sein Lager, verlebte er hier auf dieser romantisch-wilden Waldeshöhe seine seligsten Tage unter Fasten, Abtötung, Gebet und Betrachtung, und übte jetzt noch mehr als früher, was er unter der klösterlichen Zucht und Regel des strengen Karthäuserordens gelernt hatte. Er ging nie aus als an Sonn- und Feiertagen in den Gottesdienst nach Kriens, und um hie und da bei den umwohnenden Landleuten die notdürftigste Nahrung zu sammeln, die ihm mit Freuden gegeben wurde. Er sagte nichts woher er kam und noch weniger von seinen früheren Verhältnissen - er war der Bruder Johannes, ein heiligmäßiger Mann, das war alles, was man von ihm wußte. Doch sein Aufenthalt konnte nicht lange verborgen bleiben, man "merkte" (Balthasar, Hist.-top. M., Bd. IV.) ihm auf, wo er seine Wohnung hatte, ging ihm heimlich nach, fand seinen verborgenen Aufenthalt, und erhielt da von ihm manch heilsamen Rat und Trost. Nebstdem reutete Bruder Johann den Platz aus und baute, wie die Sage lautet, 1496 mit Hilfe der ihn besuchenden Landleute ein kleines Bethäuschen mit einem Altärchen darin. Es ist dies aber nur eine Sage und Vermutung und urkundlich nicht festgestellt. Nach und nach drang der Ruf von ihm bis in die Stadt Luzern; er erhielt jetzt auch von da öfters Besuche, die ihm zugleich Almosen und die nötigste Nahrung brachten, so daß er von nun an, um seine Nahrung zu suchen, sich nicht mehr von seinem Aufenthalte entfernen mußte, und so noch mehr dem Gebete und heiligen Betrachtungen obliegen konnte. Immer mehr in heilige Betrachtungen vertieft, war all seine Rede vom Salze der Weisheit gewürzt, und niemand ging von ihm, ohne für seine Seele einen bedeutenden Gewinn gezogen zu haben. Solchen Gewinn schätzte man damals, und war ihm dankbar dafür, besonders in der Stadt Luzern. Wie nämlich das gemütvolle Volk der Stadt Luzern von jeher bis auf den heutigen Tag sich durch Werke der Barmherzigkeit und der Religion und besondere Verehrung der seligsten Jungfrau Maria ausgezeichnet hat, so auch damals schon. So entschlossen sich einige der vornehmsten Geschlechter Luzerns, auf dem so romantisch gelegenen und zu stiller Andacht stimmenden Hergiswald zu Ehren unseres Erlösers Jesu Christi und der seligsten Jungfrau Maria eine Kapelle mit einem Altare zu erbauen, wozu sie am 15. Weinmonat 1501 von Herrn Hugo von Hohenlandenberg, Bischof von Konstanz, die kirchliche Erlaubnis erhielten. Vor allem aus beförderte und unterstützte der Schultheiß Jakob von Wyl und seine Gemahlin Anna von Wyl geb. Feer den Bau dieser ersten Kapelle, so daß diese zwei Eheleute, wie Murer (Helvetica sancta) sagt, für die ersten Stifter dieser Kapelle gehalten werden. Als weitere Stifter, Beförderer und Wohltäter dieser ersten Kapelle werden dann noch genannt: Ludwig Feer, Stadtschreiber, Junker Bramberg, nachmals ebenfalls Schultheiß, Johann Martin, Peter zu Käs und Junker Heinrich Rosenschilt (Cys. und Balthasar.), alle Bürger der Stadt Luzern. Gleichzeitig mit Erbauung der Kapelle wurde dem Hans Wagner eine Behausung erbaut (Jahrbuch für Schweizergeschichte I, S. 26 usw.). Im Jahre 1504 war der Bau der Kapelle vollendet, am 27. Juli verlieh der päpstliche Legat, Kardinal Raimund, 100 Tage Ablaß allen, welche diese Kapelle besuchen, und im August des gleichen Jahres wurde sie durch Balthasar, Bischof von Troja i. p. und Weihbischof von Konstanz, geweiht, "als er auch", wie die alten Urkunden sagen, "die Kapelle im Ranft in Unterwalden bei 'Bruder Klausen' und 'Ulrich' weihte". Immer mehr und mehr nahm nun die Andacht und Wallfahrt im Hergiswald zu, so daß wegen der Menge der Priester, die nach und nach immer zahlreicher dahin kamen, Messe zu lesen, die Herren Jakob Mangold, Niklaus Sidler, Junker Niklaus Cloos, sowie Frau Agnes Schüpf und Frau Barbara von Wyl mit bischöflicher Genehmigung ums Jahre 1510 beschlossen, zwei weitere Altäre in der Kapelle zu erbauen. Papst Julius II. erteilte im Frühjahre 1512 allen obigen und sonstigen Wohltätern dieser Kapelle durch einen Legaten, Kardinal Schinner, Bischof von Sitten, neuerdings Ablässe und hat man davon den Schluß gezogen, daß Kardinal Schinner ein besonderrer Gönner und Verehrer des Bruder Johann Wagner gewesen sei.
Hocherfreut über diese Kapelle, verdoppelte Bruder Johannes seinen Eifer im Dienste Gottes, brachte die meiste Zeit des Tages in der Kapelle zu und wohnte besonders der hl. Messe mit der Andacht eines Verklärten bei, versah auch einige Zeit die Stelle eines Sigristen auf musterhafte Weise, und handelte also auch da nach seinem Grundsatz: in allem, was man unternimmt, vollkommen zu sein. Als wahrer Diener Gottes, der nicht bloß Gott überalles, sondern auch den Nächsten liebte wie sich selbst, gedachte er in seinem Gebete nicht bloß seiner eigenen Seele, sondern auch der Seelen seiner Mitmenschen. Wenn der Wind den Klang der Glocken von den benachbarten Kirchen zu ihm trug, vereinigte er sein Gebet mit dem Gebete der Gläubigen für deren zeitliches und ewiges Wohlergehen, und wenn der Föhnwind über den unten liegenden See hinbrauste, lag er betend auf den Knien für die mit Todesgefahr kämpfenden Schiffer und empfahl die Seelen der allfällig Verunglückten der göttlichen Barmherzigkeit (Kuhn, Thur. sacr.). Nachdem er so 26 Jahre lang dieses Einsiedlerleben geführt, und nun sein baldiges Ende fühlte, ließ er sich von dem damaligen Pfarrherrn in Kriens die hl. Sterbesakramente reichen und starb dann, wie es in den Urkunden heißt, in Gegenwart einiger Landheute, die ihn besonders geliebt, im Rufe der Heiligkeit und im Alter von 60 Jahren. Er soll nach seinen, 100 Jahre später dem Grab enthobenen, und in ein neues Grab eingeschlossenen Gebeinen zu schließen, ein großer, starker und wohl auch sehr gesunder Mann gewesen sein, allein die außerordentliche Strenge seines aszetischen Lebens ließ ihn wohl kein höheres Alter erreichen. Der Tod war ihm ein Engel, der ihn von diesem Tränentale ins Land des längst ersehnten Paradieses, in die Arme seines Gottes und in die Gesellschaft von Gottes Engeln und Heiligen führte, am 19. Mai 1516. Erst jetzt fand man bei ihm die früher genannte päpstliche Bulle, und erfuhr erst jetzt aus derselben seine Herkunft, seinen Stand und Familiennamen. Sein durch vieles Fasten und strenge Bußwerke ganz abgemagerter, oder wie es in den alten Urkunden heißt, "ausgemergelter" (Cys., Balthasr, Murer.) Leib wurde vom Herrn Pfarrer in Kriens und den benachbarten Landleuten in einem von ihm selbst verordneten Grabe zur rechten Hand des Eingangs in die Kapelle zur Erde bestattet.

Keine Kommentare: